Letzte Woche stellte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, im Rahmen eines parlamentarischen Abends, ihr 10-seitiges Positionspapier zur Soloselbständigkeit in der Kreativwirtschaft vor.
Ich möchte zwei Punkte herausgreifen, die ich schon mehrfach thematisiert habe – sowohl hier [in der AGD Gruppe] auf Xing als auch im Gespräch mit Abgeordneten und Referenten der beiden Oppositionsparteien im Bundestag: Honorardumping im öffentlichen Sektor und unbezahltes Crowdworking auf kommerziellen Plattformen.
Das Factsheet der Fraktion, eine Kurzfassung zum Positionspapier, enthält folgende Aussagen dazu:
„Öffentliche und öffentlich-rechtliche Auftraggeber stärker in die Pflicht nehmen, angemessene Vergütungen zu zahlen“
„Digitale Plattformen stärker in die Pflicht nehmen, Kreative angemessen zu vergüten, wo mit kreativer Leistung wirtschaftliche Gewinne erzielt werden“
Im ausführlicheren Positionspapier der Fraktion heißt es weiter (S. 7ff):
„…Wir setzen uns dafür ein, dass dort, wo mit kreativer Leistung wirtschaftliche Gewinne erzielt werden, stets auch eine Beteiligung an die Kreativen zurückfließt.
Andere Plattformen organisieren Wettbewerbe, bei denen beispielsweise mehrere hundert Designerinnen und Designer ein Logo entwerfen, während am Ende nur der Gewinnerentwurf vom Auftraggeber honoriert wird. … Wir wollen Plattformen dazu verpflichten, vertrags- und arbeitsrechtliche Mindeststandards und rechtliche Vorgaben beim Datenschutz und den allgemeinen Geschäftsbedingungen einzuhalten. … Institutionen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder staatlich geförderte
Kulturinstitutionen wollen wir dazu verpflichten, verbindlich vereinbarte Mindesthonorare zu zahlen. Fördergelder, auch projektgebundene, darf es nur noch für solche Institutionen und Unternehmen geben, die arbeitsrechtliche Standards und Mindesthonorarvereinbarungen einhalten. Institutionen und Unternehmen, die nachweislich gegen diese Anforderung verstoßen haben, sollten für einen gewissen Zeitraum von der Vergabe von Fördermitteln ausgeschlossen werden. … Während traditionelle Unternehmen, die Kreative beauftragen, in die Künstlersozialkasse einzahlen, tun dies digitale Plattformen, die lediglich als Vermittler auftreten, oftmals nicht. Viele unterlaufen zudem systematisch arbeitsrechtliche Standards. Auftraggeber und Vermittler kreativer Leistungen sollen gleichermaßen einen Beitrag zu den Sozialversicherungssystemen leisten. … Für Cloud-, Click- und Crowdworker könnten Vermittlungsplattformen zu einer Art Verwerterabgabe herangezogen werden. …“
Mein Fazit:
Offensichtlich werden Probleme, die Ende September mit Vertretern der Kultur- und Kreativwirtschaft erörtert wurden (ich hatte in diesem Forum über die beiden Fachgespräche berichtet), von der Fraktion ernst genommen. Die diskutierten Lösungsvorschläge werden zunehmend konkreter – auch was die Stärkung der Berufsverbände, branchenweite Vergütungstarife, soziale Absicherung u.s.w. betrifft.
Bemerkenswert finde ich eine Aussage von MdB Tabea Rößner, Sprecherin der Fraktion für Medien, Kreativwirtschaft und Digitale Infrastruktur. In einem Interview geht sie u. a. auf das Thema Free-Pitching im Designbereich ein: „Es kann auch nicht sein, dass man Kommunikationsgestalter zu Pitches, Vorpräsentationen, über Ausschreibungen einlädt, und am Ende bekommt nur der Gewinner ein Honorar.“ (Taz, 18.03.2017)
Quellen und Links:
Programm des parlamentarischen Abends von Bündnis 90/Die Grünen:
https://www.gruene-bundestag.de/termin/kampf-fuer-kultur-welche-freiheiten-braucht-kreativitaet.html
Bericht der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:
https://www.gruene-bundestag.de/themen/kultur/freiheiten-fuer-kreativitaet-23-03-2017.html
Positionspapier „Kreativ und selbstbestimmt: grüne Impulse zur Soloselbständigkeit in der Kreativwirtschaft“ (Fraktionsbeschluss vom 07.03.2017):
https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Kreativwirtschaft.pdf
Fanizadeh, Andreas: Resultat einer verfehlten Politik, Interview mit MdB Tabea Rößner, Die Tageszeitung, 18.03.2017:
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5390083%26s=fanizadeh%26SuchRahmen=Print/
Mein Bericht über die Fachgespräche mit Bündnis 90/Die Grünen:
https://www.xing.com/communities/posts/mein-fazit-aus-zwei-fachgespraechen-mit-buendnis-90-strich-die-gruenen-kreative-sind-systemrelevant-1012038589
© Thomas Bender, Dipl.-Designer AGD
Gepostet auf Xing, in den Gruppen AGD,
Brand Eins, Enorm, Design Thinking und Create Berlin.
Zur Diskussion in der AGD-Gruppe
Ein Kommentator in der Gruppe Create Berlin e.V. schlug als Lösung zweistufige Wettbewerbe vor, bei der die erste Stufe für alle offen sein müsse. In der zweiten Stufe sollten dann die Gewinner aus der ersten Runde gegeneinander antreten. Ein Honorar dürfe es aber nur im zweiten Durchgang geben, da die Bezahlung aller Beiträge für den Auftraggeber unkalkulierbar sei. Für Plattformen, die sich ohnehin in einer Konsolidierungsphase befänden, könne das sogar existenzgefährdend sein.
Meine Antwort vom 05.04.2017:
Was genau können zweistufige Wettbewerbe lösen? Auch die versprochenen Prämien in der zweiten Stufe sind ja keine angemessene Vergütung im Sinne des UrhG.
Und was bringt die erste Stufe? Viel unbezahlte Arbeit für die Teilnehmer und wenig Überblick für die Auftraggeber, da sie in den wenigsten Fällen über Bewertungskriterien verfügen, geschweige denn über Fach- oder Steuerungskompetenz.
Der volkswirtschaftliche Verlust durch Free-Pitching und andere Wettbewerbsformate, bei denen Leistungen ohne Honorar erbracht werden, dürfte gigantisch sein. Auf beiden Seiten entstehen Kosten: Bei den vielen Kreativen, die jedes Jahr Konzepte und Entwürfe einreichen, aber auch bei den Ausschreibenden selbst. Bei offenen Verfahren werden ja nicht nur drei Gewinner prämiert. Das gesamte Verfahren, vom Aufruf bis zur Jurysitzung und Veröffentlichung der Ergebnisse bindet Arbeitszeit, Personal und Finanzmittel beim Auftraggeber. Doch während die mit der Organisation betrauten Mitarbeiter ein festes Gehalt beziehen, gehen die meisten Einreicher leer aus. Daher erinnern manche Wettbewerbe eher an eine Beschäftigungstherapie für Möchtegernkreative im Öffentlichen Dienst, als an ein sportliches Kräftemessen.
Zum Crowdsourcing. Das Geschäftsmodell vieler kommerzieller Plattformen im Kreativbereich basiert im Wesentlichen auf der Ausbeutung kreativer Intelligenz zu Gunsten Weniger und auf Kosten Vieler. Die Betreiber der Plattformen sind die Einzigen, die Geld damit machen. Was wäre daran so schlimm, wenn solche Plattformen um ihr Überleben kämpfen müssten?
Eine Marktbereinigung oder Konsolidierung sehe ich nicht. Nach Aussage des Deutschen Crowdsourcing-Verbandes nimmt das Arbeitsaufkommen über Plattformen sogar zu.
Ich habe nie verstanden, dass es Leute gibt, die freiwillig ihre Arbeitszeit verschenken (außer, wenn es um gemeinnützige Initiativen geht). Können die nicht rechnen?
Manchmal frage ich mich, ob wir nicht selbst, die Kreativen, das Problem sind.
Einladungen zu einem Pitch ohne Honorar, beantworte ich mit der Frage: „Sind Sie im Gegenzug dazu bereit, Ihre Probezeit zu wiederholen und dabei auf Ihr Gehalt und Ihre Arbeitnehmerrechte zu verzichten?“
© Thomas Bender, Dipl.-Designer AGD
Der selbe Kommentator schrieb, dass sich zweistufige Wettbewerbe im Architekturbereich bewährt hätten. Vor allem, wenn ein Planungsauftrag winke. Er meinte, über Jahrzehnte habe sich eine „gewisse Wettbewerbskultur herausgebildet“, bei der es sich lohne in Vorleistung zu gehen. Außerdem betonte er, ein Wettbewerbsgewinn sei gut für die Reputation.
Meine Antwort vom 06.04.2017:
Vielleicht sind die Bedingungen von Architektur-Wettbewerben wirklich etwas anders, als im Designbereich. Ob es sich lohnt, in Vorleistung zu gehen, hängt natürlich vom Auftragsvolumen ab, den Teilnahmebedingungen, geltenden Standards, aber auch vom Verhalten des Auftraggebers. Sie schreiben, es gäbe so etwas wie eine Wettbewerbskultur. D. h. für Kreative ist kostenlose Arbeit zur kulturellen Norm geworden.
Statt hunderte Skizzen auszuwerten, könnte man genauso gut drei Bieter zu einem geschlossenen Wettbewerb einladen und ihre Arbeit anständig bezahlen. Das wäre wesentlich effizienter.
Selbst mit kommerziellem Crowdsourcing könnte Arbeit zu akzeptablen Bedingungen angeboten werden. Da die Plattformen bisher nicht reguliert werden, besteht für sie jedoch kein Anlass Mindeststandards einzuhalten. Die Plattformen werden ihre Marktmacht ausnutzen und die Bedingungen diktieren, solange es geht. Auch wenn ihre AGB nicht dem geltenden Recht entsprechen. In einem mir bekannten Fall, einer kommerziellen Plattform für wettbewerbsbasiertes Crowdsourcing, verlieren die Teilnehmer ihre Nutzungsrechte, sobald sie einen Entwurf hochladen – unabhängig davon, ob dieser genutzt oder honoriert wird.
Nennen Sie mir eine kommerzielle Plattform im Designbereich, die auf das armselige Honorar, das sie ihren Dienstleistern zahlt, auch Künstlersozialabgabe (§ 23 f, KSVG) abführt.
Doch ich bin mir sicher, dass jeder Betreiber einer Crowdsourcing-Plattform ganz genau weiß, welche Regeln beim Einkauf in einem Supermarkt gelten.
Angenommen sie wollen Schokolade kaufen – können sich aber nicht für eine Sorte entscheiden – nehmen sie einfach mehrere Tafeln. Klar ist: am Ende des Supermarkts steht eine Kasse, dort müssen alle Tafeln bezahlt werden. Egal, ob sie ihnen schmecken oder nicht. Alles andere wäre schließlich Diebstahl.
© Thomas Bender, Dipl.-Designer AGD
Der Kommentator vertrat die Ansicht, dass geschlossenen Wettbewerben (bei denen nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern eingeladen werden) der Ruf von Vetternwirtschaft und Abschottung anhafte. Er griff mein Beispiel mit der Schokolade auf und entgegnete, dass auch ein Schokoladen-Hersteller das Risiko unbezahlter Arbeit eingehen müsse, da er sich nie sicher sein könne, dass sein Produkt bei den Kunden ankommt.
Meine Antwort vom 06.04.2017:
Sie haben Recht, jeder geschlossene Wettbewerb birgt die Gefahr der Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsnahme und der Ausgrenzung unliebsamer Konkurrenten. Meines Erachtens liegt das jedoch an den intransparenten Verfahren und Kontrollinstanzen, die nicht funktionieren – weniger am Wettbewerbsformat selbst. Vetternwirtschaft gibt es überall, wo Vettern wirtschaften.
Zum Schokoladenbeispiel. Der Schokoladenhersteller geht in Vorleistung. Er trägt das unternehmerische Risiko, aber mit einem fertigen Produkt, dessen Eigentümer er ist. Damit setzt er sich dem Wettbewerb aus, kann aber darauf vertrauen, dass sich seine Investition lohnt, wenn es den Leuten schmeckt. Er kann sich sicher sein, dass er seinen Anteil bekommt, wenn sein Produkt verkauft wird, denn er weiß, dass mit dem Zustandekommen eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) auch der ausgewiesene Kaufpreis bezahlt wird.
Nicht so bei offenen Wettbewerben im Kreativbereich. Hier geht es um individuelle Entwicklungen für einen, vom Auftraggeber vorgegeben, Zweck. Oft sind die Interessen des Auftraggebers ganz andere, als die des Dienstleisters. Ein kreativer Dienstleister entwirft ja nicht für sich selbst, sondern für einen Anderen. Auch wenn er der Schöpfer ist und der Entwurf seine Handschrift trägt, macht ihn das nicht zum Eigentümer des Produktes. Damit trägt ein kreativer Dienstleister das Risiko unbezahlter Arbeit, selbst wenn er das beste Ergebnis liefert und sich sein Entwurf auf dem Markt behaupten kann. Zum Schutz des Urhebers gibt es zwar das UrhG. Bei den von mir beschriebenen Wettbewerbsfomaten wird es jedoch gezielt außer Kraft gesetzt.
Vielleicht sollte man die Betreiber von kommerziellen Plattformen und die Ausrichter von offenen Wettbewerben und Pitches einfach mal auf ein paar Regeln hinweisen.
© Thomas Bender, Dipl.-Designer AGD
Zur Diskussion in der Gruppe Create Berlin e.V.
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Ein Kommentator in der AGD-Gruppe wollte wissen, ob die Forderung der Grünen, „dass dort, wo mit kreativer Leistung wirtschaftliche Gewinne erzielt werden, stets auch eine Beteiligung an die Kreativen zurückfließt“, im Umkehrschluss bedeute, dass Auftraggeber, die keinen Gewinn erzielen, auch keine Mindestvergütung zahlen müssen.
Meine Antwort vom 10.04.2017:
Mit der Formulierung: „…dort, wo mit kreativer Leistung wirtschaftliche Gewinne erzielt werden…“ soll kommerzielles Crowdsourcing von Crowdfunding abgegrenzt werden. So habe ich das jedenfalls verstanden.
Im Gegensatz zum gewinnorientierten Crowdsourcing werden Cowdfunding-Plattformen – bei denen viele Spender ein Projekt fördern – als Ergänzung zu staatlichen Förderinstrumenten, positiv von den Grünen bewertet (S. 3).
Am Anfang der von mir zitierten Textpassage (S. 7ff) geht es um Design-Wettbewerbe auf Crowdsourcing-Plattformen. Das besondere an diesem Geschäftsmodell: Während die Plattform-Betreiber satte Gewinne machen, gehen die Kreativen oft leer aus oder werden mit einem Taschengeld abgespeist. Nach Ansicht der Grünen muss dieses Geschäftsmodell reguliert werden – nicht nur, was die Vergütung kreativer Leistung angeht, sondern auch im Hinblick auf die Einhaltung des UrhG und der Künstlersozialabgabe nach KSVG.
Diese Formulierung bedeutet nicht, dass Auftraggeber, die wirtschaftlich weniger „erfolgreich“ sind, von der Pflicht entbunden werden, kreative Arbeit fair zu bezahlen. An anderer Stelle heißt es (S. 7):
„In der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es häufig Projekte, die zwar gesellschaftlich oder kulturell bedeutsam sind, sich aber ökonomisch nicht rentieren. Dieses Risiko kann nicht einseitig auf den Schultern der Kreativen lasten – insbesondere nicht dort, wo die Kreativen stark in Produktionsabläufe großer Unternehmen eingebunden und die Verwertungsketten weitgehend geschlossen sind. In solchen Teilbranchen halten wir Branchenfonds für sinnvoll, über die ökonomisch weniger tragfähige, aber gesellschaftlich oder kulturell bedeutsame Projekte finanziert werden können. So wollen wir verhindern, dass die daran beteiligten Kreativen mit Dumpinghonoraren vorlieb nehmen müssen.“
In der, im Beitrag zitierten, Textpassage geht es auch um Auftraggeber, deren Etat aus Steuermitteln finanziert wird, also öffentliche Einrichtungen bzw. öffentlich-rechtliche Anstalten. Als staatlich finanzierte Institutionen tragen sie eine besondere Verantwortung für die Gesellschaft. Doch ausgerechnet diese Auftraggeber zahlen Kreativen oft nur Dumpinghonorare. Wenn es nach den Grünen ginge, dürften sich Auftraggeber aus dem öffentliche Sektor nicht mehr um eine angemessene Vergütung drücken. Die Idee, die Vergabe von Fördermitteln an die Einhaltung von Sozialstandards zu binden, gefällt mir.
© Thomas Bender, Dipl.-Designer AGD