Honorar-Dumping: Regionalzeitung erspart sich peinliches Gerichtsurteil.

Der Berliner Germanist und Politikwissenschaftler Laurent Joachim hat auf Carta.info einen empfehlenswerten Beitrag über die skandalöse Honorarpraxis in der Zeitungsbranche geschrieben: „Honorar-Dumping: Für den Verlag ist das alles ohne Risiko“. Joachim berichtet über den Fall eines Foto-Journalisten, der erfolgreich gegen den Reutlinger Generalanzeiger geklagt hat. Nach eigener Aussage des Blatts, die auflagenstärkste Abonnementzeitung in der Region mit einer eigenen „Vollredaktion“ (Quelle: www.gea.de).

Im Interview spricht der Kläger Martin Schreier über den jahrelangen Verstoß seines Arbeitgebers gegen geltende Vergütungsregeln und über die Risiken, die eine Honorarklage für einen freiberuflich tätigen Journalisten mit sich bringt.

Das Verfahren endete mit einem Vergleich und einem Jobverlust. Zwar musste der Generalanzeiger die vorenthaltenen Honorare nachzahlen – zwanzig Prozent der Texthonorare und über vierzig Prozent der Bildhonorare – allerdings bekam Schreier vom Generalanzeiger keine Aufträge mehr. „Offenbar haben freie Journalisten nur die Wahl zwischen Honorarverzicht und Jobverlust.“ Der Journalist resümiert das Ergebnis auf verguetungsregeln.wordpress.com, wo er auch Erfahrungsberichte von Kollegen und Stellungnahmen von Politikern sammelt.  

Mein Kommentar auf Carta, 10.11.2016:

Ende September hatte mich die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu zwei Fachgesprächen mit Vertretern der Kultur- und Kreativwirtschaft eingeladen. Aus der Fraktion nahmen fünf Abgeordnete teil, darunter auch MdB Beate Müller-Gemmeke, die auf der Website von Martin Schreier (Posted on 26.07.2016 by vrwpsc verguetungsregeln.wordpress.com) zitiert wird.

Mein Fazit: Von Dumpinghonoraren ist fast die gesamte Kultur- und Kreativwirtschaft betroffen und das, obwohl wir systemrelevant sind. Laut BMWi arbeiten in den 11 Teilmärkten der KKW über 1,6 Millionen Menschen – doppelt so viele, wie in der Automobilindustrie. Zusammengenommen bringen wir es auf eine Bruttowertschöpfung von 67,5 Milliarden Euro. Das ist mehr, als der Finanzsektor erwirtschaftet (Quelle: Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2014, BMWi 2015).

Mein Bericht in der Gruppe des Berufsverbandes AGD (Allianz Deutscher Designer) auf Xing: https://www.xing.com/communities/posts/mein-fazit-aus-zwei-fachgespraechen-mit-buendnis-90-strich-die-gruenen-kreative-sind-systemrelevant-1012038589

Im August hatte ich schon mal einen Beitrag zum Thema geschrieben – die Rezension einer Sendung auf Deutschlandfunk: https://www.xing.com/communities/posts/alles-umsonst-im-netz-kreativwirtschaft-in-der-digitalen-zukunft-von-simon-brueckner-rezension-einer-1011810227

Martin Schreier schrieb dazu auf Carta „@Thomas Bender: Politiker auf die Probleme von KSK-Freischaffenden hinzuweisen, erscheint mir ebenso wichtig wie sich in diesem Anliegen gegenseitig zu unterstützen. …“

Mein Kommentar auf Carta, 15.11.2016:

@Martin Schreier: Umso beeindruckender, dass Sie Ihre Honorarklage so mutig durchgezogen haben und dass Laurent Joachim so klug über den Fall berichtet. Das ist eine Form der Solidarität, die ich sonst vermisse.

Schon erstaunlich, dass sich hier so wenig Kollegen zu Wort melden. Keine mutigen Freischreiber unter Euch?

Ein AGD-Mitglied hatte den Carta-Artikel auf Xing gepostet. In der Diskussion mit zwei weiteren Kollegen ging es um die Fragen, inwiefern der AGD Vergütungstarifvertrag Design (VTV) verbindlich ist und ob Quereinsteiger unsere Preise kaputt machen.

Mein Kommentar auf Xing, 17.11.2016:

Hallo Herr S.,
hallo Herr S.,
hallo Herr K.,

wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer wieder in die gleiche Streitfalle tappen. Die Schuldigen in den eigenen Reihen zu suchen, hilft uns nicht wirklich weiter.

Verantwortlich sind nicht nur diejenigen, die den Verfall der Preise beschleunigen (Auftragnehmer) oder davon profitieren (Auftraggeber) sondern auch diejenigen, die dabei zuschauen (Staat) und nichts dagegen unternehmen.

Ist es nicht erstaunlich, wie wenig über Dumpinghonorare in der Kultur- und Kreativwirtschaft berichtet wird?

Warum löst diese skandalöse Honorarpraxis kein öffentliches Entsetzen, keine politische Debatte aus?

Warum gibt es so wenig gute Artikel, wie der hier gepostete Carta-Beitrag von Laurent Joachim?

Warum reden wir nicht offen über die Probleme, die Martin Schreier in dem Carta-Interview anspricht?

Ich vermute aus Angst. Denn jeder, der gegen Dumpinghonorare aufbegehrt, ist draußen. Auf einem Markt des Überangebots will keiner unangenehm auffallen. Und wenn es doch mal einer wagt? Ist es ein Konkurrent weniger. Deswegen funktioniert das „Schweigekartell“ (Laurent Joachim) auch so gut. Im Designbereich ist das nicht anders.

Zwischen den Akteuren (Auftragnehmer, Auftraggeber, Staat) scheint so etwas wie eine stille Übereinkunft zu herrschen. Regeln, nach denen wir spielen müssen, wenn wir weiter auf dem Feld bleiben wollen. Die wichtigste Regel lautet: „Wegschauen“.

Über Erfolge wird gerne geredet. Über Misserfolge nicht, auch in den Verbänden nicht. Aus Scham (Versager), Abhängigkeit (Auftraggeber) und aus mangelnder Solidarität (Kollegen). Solange wir glauben, selbst schuld zu sein (weil wir annehmen, uns nicht genug angestrengt zu haben), während Wettbewerber öffentlich mit Etatgewinnen prahlen (obwohl sie in Wirklichkeit nur den Preis unterboten haben), wird sich nichts ändern.

Mit unserem Schweigen halten wir eine zutiefst skandalöse Honorarpraxis am Leben.

Auch ich habe Honorardumping erlebt – ausgerechnet mit zwei Interessenten aus dem Öffentlichen Sektor: einem Orchester und einer Bundesbehörde. Beide hatten uns um ein Angebot gebeten – „konnten“ uns jedoch nicht beauftragen, weil sie dem „günstigsten Anbieter“ den Vorzug geben „mussten“. Im ersten Fall war der „günstigste Anbieter“ um 2/3 billiger. Im zweiten Fall versprach der „günstigste Anbieter“ Konzeption und Entwurf ganz umsonst zu machen, um ins Geschäft zu kommen.

Mich hat es gewundert, dass Verträge zu solchen Bedingungen überhaupt zustande kommen dürfen. In Institutionen, deren Etat aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden – also mit unserem Geld. Schließlich sind es auch öffentliche Einrichtungen, die sich um die Spätfolgen von Dumpinghonoraren kümmern müssen. Anscheinend gelten ethische Grundsätze (Compliance) im Öffentlichen Dienst nur intern – nicht gegenüber externen Dienstleistern.

Schone Grüße,
Thomas Bender

Links:
http://www.carta.info/autor/laurent_joachim
https://www.gea.de/wir+ueber+uns.70.htm
https://verguetungsregeln.wordpress.com/erfahrungsberichte/schreier-vs-gea

©Thomas Bender, Dipl.-Designer AGD

Zur Diskussion in der AGD-Gruppe auf Xing