2. Diskussion zu dem Beitrag „Rezension einer Sendung aus der Reihe Essay & Diskurs auf Deutschlandfunk.“

Hallo Herr Z,

ich habe Ihre Kommentare gelesen. Auch Ihnen vielen Dank. Meine Antworten habe ich nach Stichpunkten zusammengefasst:

Staat:
Der Ruf nach dem Staat wäre auch nicht unbedingt mein erster Impuls. Wie viele meiner Kollegen, habe ich eher eine antihierarchische Lebensauffassung. Doch wenn fairer Wettbewerb und gerechte Bezahlung fast schon zum Ausnahmefall werden, hilft uns Individualismus nicht weiter.

Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen. Nicht einem, oder wenigen Menschen, sondern möglichst vielen. Wenn dies nicht mehr geht, ist ein Eingreifen des Staates notwendig. Um die Balance wiederherzustellen, braucht es manchmal eine größere Gemeinschaft.

Ich finde Simon Brückners Vorschlag daher überzeugend.

Mindesthonorar:
Ja – wir arbeiten in einem internationalen Umfeld. Das hat unser Land jedoch nicht daran gehindert, einen Mindestlohn für Arbeitnehmer einzuführen.

Obwohl die betroffenen Unternehmen in einem globalen Wettbewerb stehen, können Berufstätige auf dem lokalen Arbeitsmarkt vor Lohnwucher geschützt werden.

Ich verstehe nicht, was an der Forderung nach einem Mindesthonorar für Selbständige naiv sein soll?

Die Forderung kommt nicht nur aus der Kreativbranche, sondern auch von den beiden Oppositionsparteien im Bundestag (Quellen: Grüne fordern Mindesthonorar für Selbständige FAZ, 06.01.2016; Immer mehr Selbständige sind auf Hartz IV angewiesen, FAZ, 20.10.2015).

Warum nicht auf diesen Zug aufspringen? Das schließt doch eine konzertierte Aktion der Verbände und eine gut gemachte Kampagne, wie Sie sich das wünschen, nicht aus.

Beratung:
Kann schon sein, dass andere auch gerne beraten. Von mir aus. Das hat mich nie daran gehindert, die mir gestellten Aufgaben einer möglichst umfassenden Betrachtung zu unterziehen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass klassische Unternehmensberatung oft nur dazu dient, unbequeme Entscheidungen der Geschäftsführung zu legitimieren. Also z. B. Kosten durch den Abbau von Arbeitsplätzen zu senken. Das ist nicht besonders einfallsreich. Mich interessiert eher, was eine Organisation tun muss, um Arbeitsplätze zu sichern.

Ich sehe mich weder als Künstler noch als Handwerker. Viel mehr als Entwickler mit fachlichen (z. B. künstlerisch/handwerklichen) und methodischen Kompetenzen. Daher beginnt meine Arbeit auch nicht mit dem ersten Entwurf, sondern lange davor.

Viele, der von mir konzipierten Kommunikationswerkzeuge sind im Dialog entstanden. Ich möchte wissen, was die Nutzer von Produkten, Dienstleistungen und Medien erleben und was die Kunden meiner Auftraggeber brauchen. Das schaue ich mir ganz genau an. Ohne diese Beratung könnte ich gar nicht gestalten.

Mehrwert:
Inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, dass Unternehmen die in Design investieren erfolgreicher sind, als solche, die das nicht tun (Quelle: Design as a driver of user-centered innovation, EU Kommission, Brüssel 2009). Steht das nicht längst außer Frage? Daher wächst der Markt ja auch (Quellen: DGTF 2010, BMWi 2014).

Das Problem ist nur: Kreative profitieren immer weniger davon, wie Simon Brückner in seinem Essay feststellt.

In unserer Branche ist Erfolg schon lange keine Frage mehr von technischer Anpassungsfähigkeit, geschickter Selbstvermarktung, betriebswirtschaftlicher Unternehmensführung oder gestalterischer Exzellenz. Warum wird Geldverdienen immer schwieriger – selbst für Leute, die diese Disziplinen beherrschen?

Unser Markt funktioniert einfach nicht mehr nach den klassischen Preisbildungsprinzipien wie dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage.

Disruptive Geschäftsmodelle sind gerade dabei unsere Branche gründlich aufzumischen. Nach den Vorstellungen der Betreiber internetbasierter Plattformen sollen an einer Leistung nur die gut verdienen, die den Marktplatz bereitstellen. Die eigentlichen Erbringer der Leistung werden mit einem Taschengeld abgespeist. Beispiel:

Auf Online-Marktplätzen wie 99designs gibt es ein Logo schon ab 279,00 EUR und das bei mindestens 30, oft sogar mehreren hundert Entwürfen. Fast 50% der insgesamt 900.000 angemeldeten Grafikdesigner kommen aus den USA, 25% aus Europa. Erhält ein Entwurf den Zuschlag, kassiert 99designs eine Vermittlungsprovision von 30-40% von dem ausgelobten Preisgeld. Während die meisten Designer leer ausgehen, dürfen sich die Betreiber der Plattform über Einnahmen in Millionenhöhe freuen. (Quelle: Viele ernähren mit ihrer Arbeit ihre Familie, FR, 20.05.2016, Wikipedia).

Künstlersozialkasse:
In der aktuellen Ausgabe von Brand Eins steht, dass in den letzten sechs Jahren 36% mehr Zeitschriftentitel auf dem deutschen Markt erschienen sind. Die Anzahl der festangestellten Redakteure aber um 32% zurückgegangen ist. D. h. viele Medienhäuser ersetzen Festangestellte durch Feste Freie, also eigentlich Scheinselbständige, die meist die gleiche Arbeit machen, wie ihre angestellten Kollegen, nur zu schlechteren Konditionen. So sparen sich die Unternehmen den Arbeitgeberanteil der Sozialbeiträge.

Genau hier springt die KSK ein, denn selbständige Journalisten, Fotografen und Gestalter sind als publizistisch tätige nach dem KSVG (Künstlersozialversicherungsgesetz), genauso wie Künstler, pflichtversichert. Viele könnten sich eine Absicherung gar nicht leisten, wenn es die KSK nicht gäbe: Das gemeldete Durchschnittseinkommen liegt momentan unter 16.000 EUR – im Jahr!

Wenn einige dieser Medienhäuser nun Stimmung gegen die KSK machen, zeigt dies nur, dass sie ein weiteres Einsparpotential entdeckt haben, da sie die staatliche Absicherung über die Künstlersozialabgabe – wenn auch nur zu einem geringen Teil – mitfinanzieren müssen. (Quellen: Die Welt in Zahlen, Brand Eins 09/2016; Soziale Verantwortung abgeben, Taz 04.9.2016; Wirtschaft läuft gegen die Künstlersozialkasse Sturm FAZ, 29.08.2016; Die Leiharbeiter des Journalismus, Taz 06.07.2015, http://www.kuenstlersozialkasse.de/service/ksk-in-zahlen.html)

Schöne Grüße,
© Thomas Bender

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