Rezension einer Sendung aus der Reihe Essay & Diskurs auf Deutsch­land­funk.

„Alles umsonst im Netz? Kreativwirtschaft in der digitalen Zukunft“ Von Simon Brückner. Als Stream verfügbar bis 02. Januar 2017.

Unbedingt hörenswert!
http:x//www.deutschlandfunk.de/digitale-zukunft-alles-umsonst-im-netz.1184.de.html?dram:article_id=355035

In seinem Radio-Essay „Alles umsonst im Netz?“ beschreibt der Berliner Dokumentarfilmer und Journalist Simon Brückner den Wandel in der Arbeitswelt der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Der Autor stellt die richtigen Fragen:
Warum können viele Kreative, trotz eines wachsenden Marktes, nicht mehr von ihrer Arbeit leben?

Warum steckt eine Branche, die vor rund einem Jahrzehnt noch als zukunftsträchtige Goldgrube galt, heute in einer tiefen Krise?

Warum sinken Budgets, brechen Preise ein und laufen Förderungen aus, obwohl Auftraggeber satte Gewinne machen und unsere Gesellschaft so reich ist?

Brückner beobachtet einen Markt, in der die kreative Intelligenz die Verlustseite bildet, während die technische Intelligenz gut verdient.

Einen Markt, der „sich den Enthusiasmus der Künstler und Denker zu Nutze“ macht, sie aber nicht mehr am Gewinn beteiligt. Die Ideenproduzenten sind das Ideal der Neoliberalen, so Brückner. Kluge Köpfe, die als ihr eigener Chef unterwegs sind, den Staat nicht brauchen und sich mit dem „immateriellen Erlös“ ihrer schöpferischen Arbeit zufrieden geben. Wer kennt sie nicht?

Auch ich, der Verfasser dieser Rezension, erlebe Kollegen, die sich an offenen Wettbewerben, unbezahlten Pitches und Ausschreibungen beteiligen, kostenlose Vorleistungen erbringen und ihre Ideen auf Online-Marktplätzen verschenken. Verlierer ihrer eigenen Leidenschaft. Mit einer „Gewinnchance“ (hier: Wahrscheinlichkeit für geleistete Arbeit bezahlt zu werden) von z. T. unter 1,0 %, erinnern manche Plattformen an moderne Sklaverei.

Das oft bemühte Argument, die Teilnahme an solchen Wettbewerbsformaten sei doch freiwillig, gilt meines Erachtens nicht. Da die Branche durch ein Überangebot geprägt ist, sehen viele junge Kreative in einer Teilnahme, ihre einzige Chance. Statt sich zu solidarisieren, stimmen sie stillschweigend der Entwertung ihrer Arbeit zu und halten ein System am Leben, bei dem letztlich alle verlieren.

Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me!

Als Ursachen nennt Brückner:
Durch die Demokratisierung digitaler Produktionsmittel kann heute jeder mitmachen.

Im Netz sind kreative Leistungen kein knappes Gut mehr.

Mit den Möglichkeiten von Copy-and-Paste verbreitet sich eine Umsonst-Mentalität unter den Nutzern.

Der Freie Geist unter den Kreativen bewirkt ihre eigene Entsolidarisierung.

Chancen haben laut Brückner:
nur die, „deren Arbeitsprodukte man digital nicht ohne Abstriche kopieren kann“, also Leute die „individuell beraten“, „live zu erleben sind“ oder die „Aura des einen Originals versprechen“.

Meine Recherchen:
bestätigen Brückners Beobachtungen. Zwar wird dem Designmarkt, als bedeutendem Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft, großes Wachstumspotential zugeschrieben (DGTF 2010, BMWI 2014). Für viele meiner Kollegen sieht die wirtschaftliche Realität jedoch eher bescheiden aus. Einige Statistiken und Studien sprechen sogar von prekären Verhältnissen (DESTATIS 2014, BDG 2014, KSK).

Mein Fazit:
Dass sich Auftraggeber aus einem Überangebot, das für sie günstigste wählen, überrascht mich nicht. Doch in keiner anderen Branche wird es ihnen so leicht gemacht, Leistungen praktisch umsonst zu bekommen.

Ausblick:
Simon Brückner erhebt Anspruch auf Schutz aller Urheber, egal ob angestellt oder selbständig. In seinem Essay spricht er sich für branchenweite Honoraruntergrenzen und öffentliche Kulturförderung aus. Zur Nutzung digitaler Inhalte im Netz erwägt er das Für und Wider einer Kulturflatrate und einer Einspeisevergütung.

Es ist ein großes, gemeinsames Projekt für das der Autor hier wirbt: Die Rückkehr des Staates.

Links:
http://www.bmwi.de/DE/Mediathek/publikationen,did=741998.html
http://www.dgtf.de/ressourcen/62
http://www.kuenstlersozialkasse.de/service/ksk-in-zahlen.html
http://bdg-designer.de/wissen/honorar-gehaltsreport/
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/arbeitsmarktpolitik-gruene-fordern-mindesthonorar-fuer-selbstaendige-14000719.html
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/immer-mehr-selbstaendige-sind-auf-hartz-iv-angewiesen-13866387.html

Der Rezensent:
Ich, Thomas Bender – Diplom-Designer und Mitglied in der Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst und dem Berufsverband Allianz deutscher Designer AGD – berate nationale und internationale Auftraggeber. Einladungen zu einem Pitch ohne Honorar, beantworte ich mit der Frage:

„Sind Sie im Gegenzug dazu bereit, Ihre Probezeit zu wiederholen und auf Ihr Gehalt sowie Ihre Arbeitnehmerrechte zu verzichten?“

Ich nehme nicht an unbezahlten Wettbewerben teil, stattdessen setze ich mich lieber für faire Wettbewerbsbedingungen ein, z. B. in meinen Kommentaren auf Xing:
https://www.xing.com/communities/posts/life-buddy-app-alex-braucht-deinen-support-1011759909?comment=34521454

https://www.xing.com/communities/posts/ausstellung-designwettbewerb-strandmobiliar-2016-strich-17-mit-onlinevoting-1011723699

Meine Position deckt sich mit der Spec-Work-Initiative der AIGA in den USA und dem Standpunkt der AGD in Deutschland:
http://www.aiga.org/position-spec-work/
https://agd.de/szene/2014/design-wettbewerbe-profilierung-oder-erkauftes-profil

© Thomas Bender

Gepostet auf Xing, in den Gruppen AGD,
Brand Eins, Enorm, Design Thinking und Create Berlin.
Zur Diskussion in der AGD Gruppe auf Xing